Shalom lachem!
Das einzig konstante im Leben ist Veränderung.
Kürzlich wieder gelesen, hat dieser Satz mich dazu beflügelt mal ein bisschen über mich selbst nachzugrübeln. Zwischen all den erinnernswerten Ereignissen, spektakulären Ausblicken, freundlich gesonnenen Wesen und harter Arbeit ist es sehr leicht sich selbst aus dem Fokus zu rücken und noch leichter sich nicht wieder hinein zu begeben. Nur wäre es doch sehr schade wenn ich mich in Zukunft nur an jene Ereignisse, Ausblicke, Wesen und Arbeitszeiten erinnern würde und nicht etwa wie ich mich dabei gefühlt und verändert habe. Ansonsten könnte ich über Freiwilligendienste in Israel auch einfach eine Doku schauen.
Ich bin nicht unbedingt mit dem Ziel mich selbst zu finden in diesen Freiwilligendienst gestartet, sondern habe diese Arbeit ausgewählt, da ich einen wesentlichen Teil von mir schon gefunden habe und ich ganz einfach der Überzeugung bin, dass sie zu mir passt. Bin vertraut mit einer beträchtlichen Menge an guten, sowie schlechten meiner Eigenschaften, bin vertraut mit meinen manchmal eigenartigen, lustigen, hinderlichen Verhaltensmustern und ich weis, was ich mag. Doch nur weil ich Teile meiner selbst schon zu Tage fördern und kennenlernen konnte, heißt das nicht, dass dort nicht noch viel mehr „ich“ unter der Oberfläche lungert. Wie kleine Diamanten, welche nur darauf warten entdeckt zu werden.
Abgesehen davon, dass ich vermutlich niemals alle Diamanten werde finden können, glaube ich trotzdem, dass ich in den vergangenen sechs Monaten viele davon habe hervor luken sehen. Und für Euch und mich beginne ich nun damit meine kleine Diamantensammlung der letzten sechs Monate zu begutachten.
Ich bin „green lady“. Mit Öko-Eltern beglückt hätte ich wissen müssen, dass entweder meine Schwester oder ich so enden würden, ich hatte nur nicht so bald damit gerechnet. Zusammen mit meiner Freundin Henriette stiefele ich seit Beginn des Jahres mit einer beachtlichen Kollektion an Einmachgläsern zum „shuk hacarmel“ um die Einweg-Umverpackung von Gewürzen, Nüssen und Reis zu umgehen. Zu unserem Gemüsemann „Ariel“ gehts immer mit Jutebeutel und Rucksack, um unsere (äußerst deliziösen) Tomaten, Nektarinen und Äpfel mit dem obligatorischen „lo zakit bevakasha“ (bitte keine Plastiktüte) und einem verschmitzten Lächeln nicht in hunderten von Plastikbeuteln zu verstauen. Für Ariel sind wir die „green ladies“. Anscheinend bin das ich – und das ist jetzt ein Teil von mir.
Ich bin neugierig. Mir wurde erst vor kurzem bewusst, dass ich aus Angst es nicht gut genug zu können viele Sachen gar nicht erst probiere. Jetzt in diesem Moment kann ich keinen Rückwärtssalto machen – aber ich kann es lernen. Jetzt in diesem Moment kann ich auf spanisch nicht mal bis 100 zählen – aber ich kann es lernen. Jetzt in diesem Moment habe ich auf viele Wissens-Fragen keine Antwort – aber ich kann lernen. Die Angst etwas nicht zu wissen lässt mich oft peinlich berührt das Thema wechseln, aber ganz sicher weiß ich sehr viel, was Menschen in meinem Umfeld nicht wissen oder tun können. Das wichtigste ist jedoch, dass ich das Bewusstsein erlangt habe, dass ich es einfach erlernen kann. Ich will lernen wie man Salsa tanzt, eine Zwiebel genau richtig schneidet, in Gebärden spricht, Kleidung herstellt, zuhört, sodass jeder erzählen kann. Will niemals aus-, aber immer dazulernen. Ich bin neugierig – und das ist jetzt ein Teil von mir.
Ich bin eine Schriftstellerin. Auch wenn ich seit vielen Jahren (mehr oder weniger erfolgreich aber dafür sehr ausschweifend und mit viel Elan) Tagebuch führe, habe ich nie daran gedacht öffentlich zu schreiben. Seit meinem Freiwilligendienst hat sich das so ziemlich geändert. So schreibe ich nicht nur regelmäßig, sondern auch relativ sehr öffentlich über den ganzen Bums der mir so durch den Kopf geht oder ab und zu auch mal Dinge, die anderen Menschen vielleicht weiter helfen oder Inspiration sind. Ich persönlich hoffe ja, dass wenigstens eins von beidem ab und zu der Fall ist. Ich schreibe – und das ist jetzt ein Teil von mir.
Ich bin rastlos. Noch nicht mal am Ende eines Lebensabschnittes angekommen plane ich schon den nächsten. Zum mindest bemühe ich mich nach Leibeskräften durch Planung ein Stück Struktur in meine Zukunft zu werkeln. So ganz klappt das jedoch nicht, denn es gibt zu viel zur Auswahl. Ich weiß, dass ich mit diesen Sorgen nicht unbedingt originell am Start bin und hab leider, was mal eine Abwechslung darstellen würde, auch keine Lösung parat. Meine Zeit hier in Israel hat mir gezeigt in wie viele Mögliche Richtungen sich mein Leben ich nur im nächsten Jahr entwickeln könnte. Je mehr ich erfahre, desto rastloser werde ich angesichts all der Dinge die nur darauf warten entdeckt und gelebt zu werden. Ich bin rastlos – und das ist jetzt ein Teil von mir.
Ich bin ein „extraordinary warm german„. Den Begegnungen mit wundersamen Menschen folgen fantastischer Weise wundersame Gespräche, welche mir in letzter Zeit ziemlich viel über mich selbst offenbaren konnten. Mit einer anderen Perspektive, einem unvoreingenommenen Blickwinkel sind meinen Freunden Eigenschaften klar und deutlich, welche ich an mir ohne Hilfe nicht entdecken kann. Und einem dieser Gespräche mit meinem guten Freund Yuval zufolge bin ich ein „extraodinary warm german“. Simpel aus dem Grund, dass ich die wärmste, herzlichste Europäerin bin, die er jemals kennengelernt hat. Einschätzungen wie, mein Mut auf andere zuzugehen oder Menschen in meinem Umfeld ein gutes Gefühl geben zu können, sind in der Lage den Staub fort zu wischen und einen neuen kleinen Diamanten zu zeigen, auch wenn ich bei der Suche etwas Hilfe hatte. Ich bin „extraordinary warm“ – Irgendwie ist mir dieser Ausdruck im Gedächtnis geblieben. Und auch das ist wohl ein Teil von mir.
Weder von Israel noch von mir selbst erwarte ich alle Antworten zu bekommen, mich innerhalb von 8 Monaten selbst zu finden und als vollkommene Person wie ein Fels in der Brandung, ohne jeglichen Zweifel am Sinn von Jenem und Solchem nach Deutschland zu kommen, aber ein bisschen besser weiß mein Ich jetzt schon über mich bescheid. Egal wo Ihr gerade geht oder steht, vorwärts oder auch mal zurück, lade ich Euch ein die Diamantenlupen zu zücken und auf die Suche zu gehen. Wenn ihr Glück habt findet ihr Euer persönliches Israel, welches der Schauplatz einiger wertvoller Funde werden kann.