Glaubt es oder lasst es bleiben, aber ich habe wirklich einen Job. Die vergangenen anderthalb Monate habt ihr vermutlich daran gezweifelt, da ich mehr über Shabbat und Eilat geschrieben habe, als über meine Arbeit beim WIZO. Wäre es nicht zu aufwändig jedem von Euch ein Entschuldigungs-Briefchen zu schicken, würde ich das glatt in Erwägung ziehen, aber so müsst Ihr nun mit Eurem Computerbildschirm vorlieb nehmen. – Slecha!
Ich fand es schon immer überaus schade, dass meine Erinnerungen an mein ganz persönliches, kleines Selbst erst im Alter von ungefähr drei oder vier Jahren eingesetzt haben. Ich war bestimmt ein fabelhaftes Baby. Diese mutige Aussage treffen ich daher, dass ich seit Januar jeden Tag solch fabelhafte Babies, trösten, belustigen und kennen lernen darf. – Jeden Morgen (Sonntag bis Donnerstag) radle ich (oder laufe, da mein Fahrrad momentan in Streik getreten ist) zur Casa Cuna, gehe durch das eiserne Eingangstor und linse ein paar Schritte weiter gleich durchs Fenster, wo ich meine kleinen Dropse (meistens) fröhlich spielen sehe. Ein Morgen ist sofort ein guter Morgen, wenn sie mich erspähen, begeistert in die Hände klatschen und zur Tür laufen/krabbeln oder kriechen um mich zu begrüßen. Schnell werfe ich noch einen Blick ins Büro meiner Chefin und in die Küche, wo meistens einige zum morgendlichen Kaffeklatsch versammelt sind, um mein „Boker tov! Ma nish ma?“ (Guten Morgen! Wie gehts?) in die Runde zu trällern. Anschließend beeile ich mich in unseren „Klassenraum“ zu kommen, wobei ich darauf achten muss, keinem zu enthusiastischen Begrüßungskommando die Tür vor die Stirn zu schieben. Wiederum beginnt ein allmorgendlicher Schwall an ausgetauschten „Ma nish ma`s?“ und „Beseder`s“ mit meinen Kolleginnen Tania (eine Frau mit unbändigen schwarzen Locken, die in jeder Situation weis, was zu tun ist), Sophie (eine Araberin mit einem unschlagbaren Sinn für Humor und einem Talent mich äußerst liebenswürdig zu bemuttern) und Revital (die mit mir gemeinsam unermüdlich an meinem hebräisch arbeitet und mich zusätzlich mit israelischen Süßigkeiten überhäuft). In einem Mix aus englisch, hebräisch, Hand und Fuß, schnattern wir eine Weile über unsere Wochenend-Aktivitäten, was recht häufig von herzlichen Kinder-Umarmungen unterbrochen wird. Mir wird Frühstück angeboten, das Befinden sämtlicher Töchter und Söhne mitgeteilt und das neueste Familienfoto gezeigt.
Spätestens jetzt pflügt sich Reuel seinen Weg zu mir durch, wie ein kleiner Mähdrescher mit Elvis-Locke und nimmt dabei weder Notiz vom Gefühlszustand, noch der Existenz eventueller Gliedmaßen anderer Kinder. Ihn scheine ich irgendwie verzauber zu haben, denn wenigstens bis zum Mittagessen folgt er mir nun überall hin. Den Vormittag verbringen wir nun damit in einem riesigen Haufen Kuscheltiere tauchen zu üben, Kinder mit Keksen zu bestechen (auch bestochen zu werden) und dutzende Seifenblasen zu pusten. Bei letzteren reckt sich Geven ihrer stattlichen Länge von ca. 70 cm nach, auf den Knien in die Höhe und versucht diese mit begeistertem Gequitsche zu zerplatzen. Dieses unglaublich aufgeweckte Mädchen besitzt den vor Freude strahlendsten Blick, den ich jemals gesehen habe. Es klingt vielleicht etwas kitschig, aber schenkst Du ihr ehrliche Zuneigung, wirst Du mit dem wundervollsten Lächeln der Welt belohnt.
Während ich gegen elf Uhr damit beschäftigt bin, alle „kleinen“ Babies einzusammeln und gleichzeitig davon abzuhalten vor Begeisterung den Essenwagen umzuwerfen, habe ich gleichzeitig ein Auge auf Samir, unseren Kleinsten, welcher auf dem Bauch herum liegt, wie wild mit den Beinchen strampelt und mit seinem Köpfchen erstaunlich rhythmisch von links nach rechts wackelt. Dabei sieht er immer ein bisschen aus wie eine sehr musikalische Eidechse mit einem süßen, zahnlosen Lächeln. Wenn wir das Mittagessen dann ohne größere Zwischenfälle über die Bühne gebracht haben, gilt es die fast unlösbare Aufgabe zu meistern alle Kinder zum einschlafen zu bewegen, und das möglichst zeitgleich. (Kleinere Zwischenfälle wären etwa, dass eins der Kinder seinen Tischnachbarn mit Essen bewirft und auch alles andere im Umkreis von 2 Metern mit eindeckt, diesen vom Stuhl schubst, oder seinen herrlich beschmierten Mund zufrieden und großzügig in meinen Klamotten und Haaren abwischt. Dann heißt es umher laufen, Schnuller holen, darauf achten, dass die sich bereits in der Horizontale befindenden Kinder sich nicht wieder in die Gegenteilige Lage bewegen, hier ein Rollo herunter zu ziehen, da ein letztes Spielzeug aus dem strammen Griff eines Kindes zu entwinden und das alles möglichst leise, ruhig und fix. Am leichtesten sinken jene in den Schlaf, die in einem der „zalachat`s“ liegen dürfen, was übersetzt so viel wie „Teller“ bedeutet und auch genau so aussieht. Dann wackeln, drehen oder kippeln wir sie ins Reich der Träume. (Nebenbei bemerkt: Was träumen Babies eigentlich? Vorschlage bitte!)Wenn wir das geschafft haben, schauen wir uns einen Moment erleichtert an, und ich entschwinde in meine wohl verdiente Mittagspause.
Lange lassen sie uns jedoch nicht ruhen, obwohl das vermutlich meckern auf hohem Niveau ist, da viele von Euch bestimmt einiges für eine Arbeit geben würden, bei der sie zwei Stunden am Tag neben schlafenden Babies sitzen können. Lior ist mein inoffizieller Liebling, droht jedoch jeden Tag während des Mittagsschlafes diesen Status zu verlieren, da er fast lauter schnarcht als mein Papa und dass will schon was heißen. Anders da Menschen wie die kleine Yabsara. Sie möchte lieber nuckeln als schlafen, sodass es bald Zeit wird für die Milch. Yabsara ist das eleganteste Baby das ich kenne. Und gleichzeitig das faulste. Nach dem Motto – eine Dame hält keine Milchflasche, sie lässt halten – so muss ich sie mit ihren 11 Monaten immer noch füttern, wobei sie keinerlei Anstalten macht selbst auch nur einen Finger zu rühren. Unheimlich schmächtig, weich und zerbrechlich wirkend hat sie es jedoch faustdick hinter den Ohren und wieselt neuerdings auf dem Bauch hin und her rutschend so schnell von einem Ort zum anderen, dass ich kaum hinterher komme. So einen erhabenen und selbstbewussten Blick haben nicht viele Menschen in einem so zarten Alter… .
Gegen halb drei regt und bewegt es sich wieder ordentlich im Raum. Am Fester krakelt jemand lautstark nach seiner Milchflasche, jemand anders geht dazu über den noch schlafenden Kindern die Decken abzuziehen oder versinkt in einer Heul-Tirade, bis er oder sie aus dem Gitterbettchen gehoben wird. Sie sollen nur nicht denken, dass mir die Abwesenheit der Tränen und die Sekunden später wieder strahlende Miene entgehen. Ich sehe alles. (Na gut, fast alles.) Der Langschläfer Nathaniel ist für sein Alter wirklich unheimlich groß, mit einem noch größeren Kopf und einem geradezu überdimensionalen Optimismus. Ich schwöre, ich habe dieses Kind noch niemals weinen sehen. Nach dem Aufwachen hilft er mir jedenfalls immer unglaublich stolz und tatkräftig beim Zusammenstellen der Betten. Seitdem er bemerkt hat, dass ich jedem Kind vor dem Schlafen einen Gute-Nacht-Kuss gebe, läuft er nun überall umher und verteilt feucht fröhlich schmatzende Küsschen an jeden Menschen, den er höhen-mäßig erreichen kann. Mein kleiner Casanova 🙂
Ist alles aufgeräumt, alle Kinder gewickelt und angezogen beginnt das Spiel von neuem und es heißt Seifenblasen pusten, Reifen verteilen, Tränen trocknen und lernbegierige Laufanfänger an die Hand zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt merke ich oft, dass so schön diese Arbeit auch ist, 40 Stunden die Woche doch ganz schön viel und mein mein Feierabend noch weit entfernt sind. Ich habe zwar im vorhinein extra ein Kurzpraktikum in meiner ehemaligen Krippe gemacht, jedoch war und ist das die einzige Vorbereitung die ich habe. Mehr oder weniger mache den ganzen Tag das was ich für richtig halte und hoffe, dass alles gut geht. In schwierigen Situationen merke ich dann doch manchmal, dass ich eben keine ausgebildete Pädagogin bin und daher sicherlich etwas mehr Zeit brauche voll und ganz in meine neuen Aufgaben hineinzuwachsen. Allerdings sind diese, wie ich finde, ein wirklich guter Anfang für meine angestrebte Berufswahl einer Sozialarbeiterin. Anderen bleiben nur schnöde Schul-Praktika, ich habe immerhin ein Jahr Schnupperkurs, und das sogar in einem anderen Land.
Nach und nach leert sich der Raum, gegen vier Uhr sind fast alle Kinder abgeholt und nur noch zwei unserer Kleinen sind übrig. Bis dahin habe ich manchmal einen schnellen Schnack mit ein paar Eltern gehalten, hier die Schuhe hervor gezaubert, da noch schnell eine Nase geputzt und bin nun eigentlich reif für die Insel. Die letzte Arbeitsstunde des Tages steht jedoch noch vor mir und gemeinsam wandern meine Kollegin Tania, die Kleinen Noa und Geven und ich in einer ulkigen Karawane in den Garten zu den älteren Kindern. Das ist nochmal eine völlig neue Situation. Mit ihren zwei bis vier Jahren beschäftigen sich die meisten selbst, plaudern fröhlich auf mich ein und haben (dank meiner spärlichen hebräisch Kenntnisse) bis zum heutigen Tag noch nicht genau bemerkt, dass ich nur die Hälfte dessen verstehe, was sie mir so aufgeregt miteilen. Auch wenn diese Kinder die meiste Zeit ebenfalls wirklich fabelhaft sind, schaue ich nun doch öfter auf die Uhr und bin ein bisschen erleichtert wenn es fünf ist, denn schließlich will der Nachmittag/ Abend ja auch gelebt werden.
Ich hoffe sehr, dass Ihr Euch jetzt einigermaßen meinen Arbeitsalltag vorstellen könnt. Falls nicht, seid Ihr herzlich eingeladen mich zu besuchen und es Euch selbst anzusehen!
PS: Ich arbeite noch an gemeinsamen Fotos, aber leider halten meine kleinen Wilden nie lange genug still.. – slecha!