Von Deutschland, nach Israel, nach Palästina. Gerade hat das vorletzte Wochenende in Israel für meine Freundin und Zimmergenossin Karla angefangen, an dem wir zu dritt mit Henriette beschlossen haben noch mal gemeinsam zu reisen. Wie das bei Freiwilligen so ist, reichlich unvorbereitet und mit einer dicken Verspätung! Den Pass vergessen, also nochmal schnell nach Hause, vor lauter Hektik die extra noch aufgefüllte Wasserflasche direkt dort stehen lassen, wo der volle Rucksack noch vor zwei Minuten stand, bevor wir mit lautem “ Yalla Yalla“, einem Snack in der einen und den Schuhen in der anderen Hand zum Aufzug stürzen, um jene in den paar Sekunden von unserer Etage bis zum Sprint-Start irgendwie anzuplünnen. 7, 6, 5,… 2, 1, 0. Los! Einen Weg zum ersten Bus, der eigentlich 6 Minuten dauert und eine App, die uns sagt, dass wir noch genau 4 davon haben um den letzten Bus vorm Shabbat zu erwischen rennen wir wie irre los, wobei ich feststellen muss, dass Birkenstock-Schlappen sicherlich in vielen Situationen die richtige Wahl, zum rennen jedoch absolut ungeeignet sind. Also Schuhe wieder aus und barfuß den spitzen Steinen auf dem Weg ausweichend Richtung Bushaltestelle. Leider gehts bergauf. Gerade noch rechtzeitig können wir dem Busfahrer signalisieren, dass er sich bitte erbarmen möge anzuhalten, obwohl ihm schon dick und fett „Endlich Wochenende“ auf der Stirn geschrieben steht.
Die paar Stationen bis zur riesigen, schmutzigen und unglaublich verwirrenden Central Bus Station (CBS) Tel Avivs reichen gerade um eine kurze Verschnaufpause einzulegen, bevor wir wieder zum Eingang spurten. Regelmäßig kontrollieren wir, ob sowohl Portemonnaie (oder alte Ziplock-Beutel, welche eventuelle Mitbewohnerinnen als solches benutzen), Handy (ohne welches wir uns als dezent aufgeschmissem betrachten würden) und die weiße Plastiktüte mit den Erdbeeren, welche wir vorher noch schnell für einen ziemlichen Knaller-Preis (für deutsche Verhältnisse immer noch viel zu teuer) bei einem arabischen Händler erstanden haben, noch in unserem Besitz sind. Das passt echt super zu uns und generell allen Freiwilligen die ich hier so kennengelernt habe. „Zahnpasta vergessen? – Egal! Hauptsache ne gemütliche Hose und ein Kartenspiel eingepackt! “ Oder: „Hm, naja, nen Pass habe ich nicht wirklich dabei, aber schaut mal, ich hab noch fix ne Tüte Datteln eingesteckt!“
Obwohl wir uns vorgenommen haben früher da zu sein, kommen wir doch nur gerade rechtzeitig zum Gate des aller letzten Busses nach Jerusalem, dessen Anblick uns sofort jegliche Hoffnung nimmt, an diesem Wochenende noch dort hin zu gelangen. Nachdem wir eine gefühlte Ewigkeit in der Eingangs-Schlange vor dem selbstgerechten und vermutlich sozial frustrierten Kontrolleur der CBS verbracht haben, welcher mit einer unerhörten Genugtuung und Ruhe diese Machtposition ausnutzt als wäre er der Beschützer des weißen Hauses, eilen wir mit noch halb offenen Rucksäcken auf den unförmigen Pulk vor dem Fernbus zu. Jeder einzelne von uns bezweifelt nun, dass all diese Menschen, einschließlich uns, dem Schlusslicht der Schlange, eine Fahrkarte erstehen und tatsächlich einen Platz in diesem Bus bekommen werden. In langsam angewöhnter Israeli-Manier drängeln wir uns unauffällig vorwärts, und ergattern gerade noch die letzten drei Sitzplätze. Bis dahin haben wir möglicherweise der lärmenden Gruppe hinter uns demonstrativ mit den „zufällig“ in der Bus-Tür abgestützten Armen den Weg versperrt. Stolz darauf bin ich nicht, jedoch schien es uns der einzige Weg noch in diesen Bus zu gelangen, so zum mindest meine deutsche Denke. Aber natürlich ist man schief gewickelt wenn man etwa denkt, dass das fehlen von Sitzplätzen die Leute vor dem Bus am Kaufen und den Busfahrer am Verkaufen der Tickets hindern würde, sodass unser Vehikel kurze Zeit später vollkommen überfüllt seine Fahrt antritt. Neben mit im Gang machen es sich mehrere Menschen mit riesigen Rucksäcken stehend oder sitzend so bequem wie möglich oder halten ganz vorn einen Schnack mit dem Fahrer, da es nach hinten eh nicht weiter geht und der Fokus auf die Straße zweitrangig erscheint.
Immer wieder erstaunt über die Menge an deutschen Touristen in diesem Land nehme ich zur Kenntnis, dass auch meine Sitznachbarin meine Sprache spricht, als wir uns gegenseitig helfen unsere Handys wie alle anderen hier mit dem Bus zu verkabeln, da ein leerer Akku hier scheinbar einer mittelschweren Katastrophe gleich gesetzt wird. Gruppenzwang
Da es im Bus so laut ist, dass wir uns über fünf Sitzreihen hinweg nicht unterhalten können werden Karla und ich zum Teenie-Klischee unserer Selbst und kommunizieren während der Fahrt über Whatsapp. Als wir aussteigen wird mir wieder einmal bewusst, wie sehr der Shabbat dieses Land im Griff hat. Jerusalem wirkt wie ausgestorben. Unser Gefährt muss vor dem Gebäude der Busstation halten, da diese für das Wochenende schon zu gemacht hat. Keine Straßenbahn fährt, kein Auto ist unterwegs, nur einzelne Spaziergänger oder letzte Straßenhändler sind zu sehen, welche versuchen uns davon zu überzeugen, dass wir unseren Liebsten doch einen Blumenstrauß zum Shabbat mitbringen müssten. Es ist unheimlich still und die leeren Straßen wirken wie Kulissen für einen noch nicht begonnenen Film. Mehrere Gruppen ausschließlich männlicher orthodoxer Juden kreuzen strammen Schrittes und unbeirrten Blickes (natürlich nicht ins unsere Richtung) unseren Weg. Mit den blank polierten schwarzen Schuhen, den wehenden Mänteln, langen Schläfenlocken und unglaublich hohen schwarzen Filzhüten scheinen sie ihre Umgebung kaum wahrzunehmen. Außer uns sehe ich während unseres gesamten Weges durch Jerusalem, hin zum Bus, welcher uns nach Bethlehem bringt nur zwei anderen Frauen ohne männliche Begleitung. Ungefähr in unserem Alter und mit bunten, alternativen Klamotten scheinen sie nicht einzusehen, warum der Shabbat sie ans Haus fesseln sollte. Zum ersten Mal fällt mir eine jüdische Mutter auf, welche nebst blickdichten Strümpfen und konservativen Kostüm auch eine Perücke trägt, um nicht ihr eigenes Haar zu „präsentieren“. Wen dieses Thema interessiert der kann sich ja mal auf Wikipedia belesen, oder etwas stilvoller meinem Buchtipp „(Un)Orthodox“ von Deborah Feldman folgen. Es ist schon durch die gesamte WG gezogen und sieht jetzt doch reichlich geliebt aus.
Als wir gegen 19 uhr in den Bus zum Damaskus-Gate und damit zum Checkpoint 300 nach Palästina steigen, bin ich mir sicher, dass ich irgendwo unterwegs die Tüte mit den Erdbeeren vergessen habe, aber in Wahrheit hat sich Karla eben diese nur verschmitzt unter den Nagel gerissen. Wer nicht aufpasst… . Unser israelischer Busfahrer darf uns natürlich nur bis vor die Mauer bringen, sodass wir die Unterführung zu Fuß begehen. Es ist schon dunkel, als wir am Checkpoint ankommen, und wir müssen einige ziemlich ungemütliche, betongraue und unbeleuchtete Gänge entlang gehen, Drehtüren passieren und stehen dann einfach, so mir nichts dir nichts, auf palästinensischem Gebiet. Kein Mensch will unsere Pässe sehen, keine Security kontrolliert unsere Rucksäcke. Entgegen dem Klischee erwarten uns keine bewaffneten Soldaten mit finsterem Blick. Im Gegenteil werden wir nun von fröhlichen palästinensischen Obsthändlern und Taxifahrern in Empfang genommen, welche uns prompt eine Fahrt anbieten. Nicht wie bei israelischen Taxifahrern, welche schon für kurze Strecken astronomische Summen verlangen, sind palästinensische Fahrten relativ billig. Wie alles hier. Zum mindest im Vergleich.Viele Touristen fahren extra hier her um spottbillige Tabakwaren, Mitbringsel oder Lebensmittel zu kaufen.
Obwohl die Taxifahrer sehr nett und hilfsbereit sind, versuchen sie doch schnell aus unserer (vermeintlichen) Touri-Unwissenheit Kapital zu schlagen. Das Ziel unserer Reise haben sie bald verstanden nachdem wir den Namen des Mannes nennen, dem unsere geplante Unterkunft für die Nacht gehört. „Salah“ ist hier wohl bekannt, da er mit seinen 8 Betten – Dormrooms das billigste Hostel in ganz Bethlehem betreibt. Da wir Freiwillige und damit chronisch pleite sind, ist das offensichtlich die richtige Adresse. Wenn sie jedoch denken, dass sie uns 50ILS (ca. 12.50€) für eine 15 minütige Fahrt abluchsen können, sind sie aber schief gewickelt. Mehr als 30 ist der Weg nicht wert, und wir ernten einen anerkennenden, wenn auch verwunderten Blick von unserem Taxifahrer „Leith“ für unsere klare Sicht. „Salah ist nicht zuhause“, wird uns gesagt, jedoch können wir schon unsere Betten beziehen, und mehrere Decken über uns auftürmen, da es im Raum ziemlich kalt ist und die Fenster nicht ordentlich schließen. Hundemüde fallen wir reichlich früh in den Schlaf.
Gegen neun bin ich schon wach, erinnere mich jedoch an unsere Abmachung einander ausschlafen zu lassen, da wir das alle mal dringend nötig haben, und uns scheucht schließlich nichts voran. Nach einem kurzen Schnack am Morgen (eher Mittag) mit Salah begeben wir uns auf den Weg zum Banksy Museum in Bethlehem, aber erstmal etwas essen. Pizza zum Frühstück hört sich ganz gut an und als wir uns, nach der Empfehlung eines netten Polizisten, in ein Lokal setzen, entspannen wir drei uns erstmal. Die Hitze, unsere Rucksäcke, die leider immer wiederkehrenden Blicke und Anmach-Sprüche fremder Männer und das konstante Gefühl wegen unserer Kleidung und unbedeckten Köpfe ein wenig verurteilt zu werden, sind auf die Dauer nicht so einfach zu ertragen. Natürlich haben wir in weiser Voraussicht Klamotten gewählt, welche sowohl Schultern als auch Knie sowie alles dazwischen verdecken, jedoch ist das Gefühl trotzdem ein anderes als in Israel. Später fällt mir auf, dass ich weder Spielplätze, noch Parks sehe. Generell scheint der Teil Bethlehems, welchen wir heute besichtigen nur aus endlosen, zugemüllten Straßen mit kleinen Shops seitlich der Fahrbahn zu bestehen. Die drückende Stimmung beschleicht mich immer mehr, je weiter wir auf die Mauer zugehen. Wir haben unser Ziel erreicht. „Banksy“, welcher ein erfolgreicher und bekannter Streetart-Künstler aus London ist, hat die Mauer zwischen dem Staat Israel und palästinensischen Gebieten in der Westbank zu seinem Großprojekt gemacht, und dort viele seiner berühmten Graffittis hinterlassen. Ebenso hat er direkt an der Mauer ein Hotel erbaut, welches damit wirbt den „Worst view in the world“ zu haben, da man von den noblem Suiten auf eine graue, kalte Mauer blickt. Quasi zahlen Touristen viel Geld für den Ausblick an einem Ort, wo kein Einheimischer freiwillig leben würde. Ähnlich paradox und bedrückend geht es durch die ganze Museums-Ausstellung und anschließende Galerie, welche Unmengen an anschaulichen Informationen zum Nahost-Konflikt liefern und besonders die palästinensische Seite beleuchten. Nachempfundene und originale Protest-Plakate, Informationen über die Entstehung der Mauer und Zitate betroffener Palästinenser und Israelis bedecken jeden Zentimeter der Ausstellungsräume.
Gleichermaßen schockiert und beeindruckt bin ich von einem ganz besonderen, wenn auch unscheinbaren Teil der Ausstellung. Ein schlichtes, weißes Telefon an der Wand, dessen Schild einen dazu auffordert, den Hörer abzunehmen. Eine beherrschte, männliche Stimme informiert in einem aufgezeichneten Anruf darüber, dass das israelische Militär mein Haus sprengen wird, und ich fünf Minuten habe um mich in Sicherheit zu bringen. Ohne wenn und aber. Entweder du rennst, oder du stirbst. Selten war ich so verblüfft und verwirrt über die Ungerechtigkeit auf der Welt. Ich kann Euch nur empfehlen Euch, so wie ich nun, weiter über dieses Thema zu informieren, da es einen bedeutenden Stellenwert in unserer Gegenwart einnimmt, von welchem viele von uns noch nicht einmal etwas wissen.
Natürlich müssen wir auf dem Weg nach Hause wieder durch den Checkpoint gehen, welcher mich unheimlich deprimiert. Alle Gänge sind steingrau, nichts wirkt persönlich oder auch nur so, als würden Menschen jeden Tag aufs neue durch diese Hallen gehen. Mein Gefühl der Trauer und die Abscheu vor meiner Überprivilegiertheit werden noch verstärkt, als ich auf Grund meines Aussehens nicht wie der Mann vor mir all meine Sachen zum Check abgeben, meinen Pass vorzeigen und einen Fingerabdruck geben muss. Vermutlich verlässt dieser Mann Palästina nur für die ihm erlaubte Zeitspanne und in die innerste Zone, in welcher er womöglich eine Arbeitserlaubnis hat. Bei dem Gedanken, ich würde diesen Ort jeden Tag zwei Mal passieren zu müssen, wird mir wirklich unbehaglich. Schlagartig nachdem wir in den Bus steigen und dieser Richtung Jerusalem davon rollt, fällt mir auf, wie unterschiedlich Palästina und Israel sind. Hier gibt es viele Parks, saubere Straßen, freie Ausblicke und einen mehr oder weniger geregelten Verkehr. Paradox, dass das alles nur ein paar Meter, eine Wasserzufuhr und eine offiziell zugelassene Staatsgründung voneinander entfernt ist. Niemals würde ich mir erlauben in diesem Konflikt Partei zu ergreifen, oder darüber zu urteilen, jedoch bin ich froh, an diesem Wochenende eine Menge mehr über mein Gastland und dessen Konflikte gelernt zu haben.
http://www.kleinezeitung.at/kultur/kunst/5246746/Raetsel-um-KunstPhantom_Weltberuehmt-und-trotzdem-unbekannt_Wer
http://www.streetartbio.com/banksy
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