Feel good! – Gute Besserung!
Ein Satz, welcher eigentlich Zuversicht und Dankbarkeit auslöst darüber, dass die Menschen im eigenen Umfeld viel an dich denken, dich vermissen und nur das Beste für dich wollen, dir wünschen, dass du (wieder) gesund bist. Leider habe ich diesen Satz in den letzten drei Monaten viel zu oft gehört. Von meiner Managerin Eti und meinen Kolleginnen Sophie, Revital und Tania im Kindergarten, von meinen Mitbewohnerinnen, unserer Managerin Anna von der Israeli Volunteer Association (IVA), von Freunden hier und in Deutschland. Feel good! Hoffentlich geht es dir bald wieder besser!
So sehr ich mir auch wünsche einer dieser Menschen zu sein, die höchstens ein Mal im Jahr eine Grippe haben und ansonsten kerngesund und ohne Medizin-Notfall-Täschchen als Begleiter durchs Leben stiefeln, hatte ich bis jetzt hin und wieder doch so einige Unpässlichkeiten die mich aufgehalten haben. In Israel, mit der guten Laune und warmen Sonne dachte ich, würde sich mein Immunsysthem aus dem Winterschlaf räkeln, ein Mal breit grinsen und endlich mit seiner Arbeit beginnen. Aber daran geglaubt habe ich wohl doch nicht so ganz. Stattdessen haben drei Zip-Lock-Beutel voll mit Schmerztabletten, Tape für meinen instabilen Knöchel, Hustenbonbons, Pflaster und homöopathischen Medikamenten (gegen so ziemlich alles was man so haben kann), Platz in meinem Koffer und auch ein bisschen Zuversicht in mir gestohlen.
Ich persönlich denke nie daran wie gut es mir doch geht, solange ich gesund bin. Das geht vermutlich vielen von Euch ebenso. Ich wache Morgens auf, gehe zu Arbeit und habe einen schönen Tag. Ein Glück sieht die Mehrheit meines Lebens trotz meines faulen Immunsysthems so aus. Oder sah zum mindest so aus. Seitdem ich hier bin, jeden Wochentag mit wenigstens vier, schlimmsten Falls an die zehn kränkelnden Kindern hantiere, welche nicht selten trotz Fieber und offensichtlichem Unwohlsein in den Kindergarten gebracht werden, kämpfe ich so ziemlich jeden Tag dagegen an, nicht auch krank zu werden. Wenigstens ein Mal pro Monat versagt mein Körper und meldet Insolvenz an. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, dass ich Teil eines sehr verständnisvollen und umsorgenden Teams bin, denn nicht selten gehe ich mit starken Kopfschmerzen, Fieber und ohne Stimme nach Hause. Trotz Salbeitee und inhalieren gelingt es mir doch selten die Viren ganz zu vertreiben, sodass ich mehr halb als ganz gesund wieder bei der Arbeit erscheine. Kleine Rotznasen und die allgegenwärtigen Klimaanlagen sind seit Januar zu Feindbildern empor gestiegen.
Wo jemand krank ist, erscheint er oder sie beim Arzt. Zum mindest ist das in Deutschland so. Ohne Bedenken kann ich wegen jeder noch so unbedeutend erscheinenden Sache zu meiner Hausärztin gehen und sie um Rat oder Hilfe bitten. Als Freiwillige in Israel mit einer Auslands-Krankenversicherung ist das alles etwas anders. Erst jetzt wird mir klar wie viel Geld das alles kostet. Für mich waren es bis Januar nur kurze Besuche, die vielleicht nach sich ziehen ein Medikament verschrieben zu bekommen oder einen Bluttest zu machen. Wartezeiten halten sich in Grenzen, die Kommunikation ist problem- und mein Besuch kostenlos. Ich muss mich nicht mit Symptom-Ratespielchen stressen, sondern bin mit einer felsenfesten Diagnose und dem Versprechen in Packungsbeilagen erklärter Zeit wieder fit zu sein. (Deutsche Krankenkassen können echt ein Segen sein!) Doch auch wenn ich hier schon so oft krank gewesen bin, habe ich doch bis vor einem Monat nie einen Arzt aufgesucht. Immer Selbst-Medikation, nach zwei, höchstens drei Tagen wieder zur Arbeit, ansonsten brauche ich einen Krankenschein. – Würde bedeuten, im israelischen Mediziner-Wirr-Warr eine Arztpraxis zu finden welche Freiwillige aus dem Ausland behandelt, jetzt und nicht in sechs Tagen Zeit hat, und nach Möglichkeit nicht astronomisch teuer ist. Um die 300 Euro, sprich um die 950 israelische Shekel sind die Regel, mit Rezept, Medikamenten oder Tests wird einem bei der genannten Summe fast schlecht. Gesundheit kostet. – Die Privat-Patienten unter euch kennen das bestimmt.
Doch bevor ihr die Hände über dem Kopf zusammen schlagt und euch verwundert fragt, wie Freiwillige denn auf solchen Kosten sitzen gelassen werden, kann ich euch erfreut berichten, dass alle Arztrechnungen, sofern zweifach belegt, nach meiner Rückkehr übernommen werden. – Vielleicht fragt ihr euch jetzt, wo denn dann mein Problem liegt? Stellt euch eine Situation wie die meine vor einer Weile vor: Den Tag irgendwie durch gezogen habe ich gegen halb fünf doch solche Kopfschmerzen, dass ich früher nach Hause gehe. Ich habe alles versucht und sicherlich auch eine großzügig bemessene Menge an Schmerzmitteln genommen, um das zunehmend unerträgliche Stechen oberhalb meine Augen zu lindern, doch nichts verändert sich. Die ganze Nacht über konnte ich nicht schlafen und war dankbar, dass ich mir in weiser Voraussicht einen Eimer neben das Bett gestellt hatte. Gegen Morgen waren all meine Mitbewohnerinnen weg, mein Magen leer und ich fühlte mich, gemessen an meiner Erinnerung, so elend wie noch nie zuvor. An dieser Stelle ein Hoch auf meine Mutter, welche mich die ganze Zeit telefonisch unterstützt hat. Hut ab vor ihren Nerven! Es war bestimmt nicht einfach einen kühlen Kopf zu bewahren, während ich teilweise vor Schmerz und Ratlosigkeit geweint habe. So etwas habe ich vorher wirklich noch nie erlebt. So weit weg von Zuhause krank zu sein ist ja immer eine Herausforderung, aber in dieser Situation hatte ich wirklich keine Ahnung was ich noch machen sollte. Allein der Gedanke, dass ich nicht genug Bargeld in der Wohnung habe um zum Arzt zu gehen, erscheint mir jetzt vollkommen verrückt, war ohne funktionierende Kreditkarte aber tatsächlich meine Realität, die mich von einer Besserung abhielt.
Krankenhäuser mochte ich noch nie, und an diesem Tag noch weniger nachdem ich mich entschieden hatte, dass es am nächsten lag, im Notfall schnell Tests gemacht, und ich mit mehr als Schmerztabletten behandelt werden konnte. Ich habe keine Ahnung wie ich es in der brütenden Hitze dieses Tages geschafft habe mich zum Krankenhaus zu schleppen, aber ich fürchte wenn es einem wirklich wirklich beschissen geht, macht man so ziemlich alles um sich besser zu fühlen. Glücklicherweise habe ich Connection in das „Wolfson Medical Center“ welches wir von unserem Balkon aus sehen können, und welches der Arbeitgeber von zwei meiner WG-Kolleginnen ist.
Wenig vertrauenerweckend ist, dass dieses Krankenhaus in ein halbwegs zwielichtiges Einkaufszentrum über geht und ansonsten auch einen eher semi-professionellen Eindruck auch mich macht. So war zum Beispiel die Notaufnahme mit einer nicht ganz so dezenten Anzahl von Plastikplanen halb abgedeckt. Die Bauarbeiten, nur einen Meter von der Rezeption entfernt, ließen mich meine Daten der Schwester entgegen brüllen und meinen ohnehin schon schmerzenden Kopf erzittern, als würde der Presslufthammer direkt meinem Schädel, und nicht einige Meter weiter den Fußboden bearbeiten. Das kreischen der Kreissäge dröhnte in meinen Ohren und zerrte so sehr an meinen Nerven, dass ich das Gefühl hatte jeden Moment laut losschreien zu müssen. Hier passt mal der normalerweise von mir verachtete Spruch: „Das würde es in Deutschland bestimmt nicht geben!“ In mir stieg die Unruhe und ich konnte meinen Puls einen Marathon absolvieren spüren, als endlich ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen war – meine Mitbewohnerin Marie. Als Mitarbeiterin im Krankenhaus hat sie von da an alles getan um meine Wartezeit zu verkürzen und meine offensichtliche Nervosität zu lindern. Durch ein kurzes Gespräch ihrer seits mi den richtigen! und wichtigen! Leuten wurde ich mir nichts dir nichts zu Untersuchung gerufen, und mir wurden Blut abgenommen, der Puls gemessen und meine Daten aufgenommen. Alles auf englisch/hebräisch, was meine Kopfschmerzen nicht gerade verbesserte. Danach hieß es warten. Lange warten. Schon wieder. Zu diesem Zeitpunkt saß ich schon über drei Stunden mit ungeheuren Schmerzen, die ich mir nicht erklären konnte im Krankenhaus. Mir wurde zunehmend unbehaglich bei dem Gedanken daran, wie viel Geld mein Aufenthalt kosten würde, da ich nur noch die letzten 500 Shekel Bargeld aus meinem Schrank mitgenommen hatte. Mehr konnte ich gerade nicht bezahlen.
Meine Mama ist echt klasse. Während ich da so vor mich hin gelitten habe, machte sie meiner Reiseversicherung offensichtlich ordentlich Dampf unter den Hacken, denn später bekam ich einen Anruf, der mir bestätigte, dass dem Krankenhaus bereits eine Kostenübernahme für meine Behandlung zugesichert worden war. Was für eine Erleichterung! Danke Mama!
Trotzdem wurde mir nun erklärt, dass mir ohne Arzt keine Schmerzmittel verabreicht werden könnten, da ich morgens schon welche genommen hätte. Das leuchtet ein, jedoch hatte ich in meiner Situation doch eher ein geringes Verständnis dafür, dass ich mich nach drei Stunden hier noch nicht besser fühlten sollte. Zunehmend passiv aggressiv und sehr nervös saß ich wieder herum. Begleitet wurde ich durch minutiöse Anrufe und Nachrichten meiner Mutter, die sich vermutlich die Sorgen ihres Lebens machte und alles versuchte um mich zu beruhigen. Auf ihren Rat hin sang ich innerlich ein Lied aus meiner Kindheit in Dauerschleife, was mich nach der sechsundsiebzigsten Wiederholung tatsächlich etwas entspannte. Ich versuchte auszublenden, dass um mich ein vollkommenes Chaos an scheinbar orientierungslos herum laufenden Leuten emsig am rotieren war. Patienten auf Liegen, die eher tot als lebendig aussahen wurden in eine Warteschlange eingereiht um einem der viel beschäftigten Ärzte vorgeführt zu werden. Selten habe ich so schlechte Organisation erlebt wo sie so dringend nötig gewesen wäre. Meine Mitbewohnerin Marie hatte zuvor eine Rolle roter Klebchen aus einem Regal gefischt und kam nun mit einer Decke und sorgenvoller Miene zu mir um mir mitzuteilen, dass sie den „dringend“-Sticker nicht mehr auf meiner Blutprobe hatte anbringen können, da diese schon ins Labor gebracht worden war. Aber gute Nachrichten waren in Sicht. Endlich durfte ich einen Arzt sprechen. Nasennebenhöhlen-Entzündung. Was? Nur so etwas bescheuertes wie ein stärkerer Schnupfen lässt mich nächtelang nicht schlafen und ruft so starke Schmerzen hervor? Ich fühlte mich wie gefangen in einem schlechten Witz. Im Abstand von wieder jeweils einer Stunde Wartezeit und mehreren Besuchen von Marie bekam ich erst Tabletten und schließlich eine Infusion verabreicht, die mich abermals meinen Mageninhalt hervor würgen ließen. Offensichtlich war es meinem Körper schnuppe, dass er nichts mehr zum hervor würgen her gab… . Um ca. halb vier, fünf Stunden nachdem ich das Krankenhaus betreten hatte, verspürte ich eine unendliche Erleichterung, als die Schmerzen langsam nachließen. Nach einer weiteren Stunde und der immer selben Bitte an wenigstens sieben verschiedene Schwestern, meinen Arm doch von der leeren Infusion zu befreien, wurde ich mit einem Rezept für Nasenspray und einem für Schmerztabletten einfach nach Hause geschickt. Das fand ich auch reichlich merkwürdig, aber in Israel studieren Ärzte auch Medizin… .